Malerei als Metamorphose

Die Arbeiten von Angelika Walter sind ein lebendiger Widerspruch zu den innerhalb der Avantgarde immer wieder angestimmten Totengesängen auf die Malerei, die sich z.B. auch darin ausdrücken, daß auf der diesjährigen Documenta kein einziges gemaltes Tafelbild zu sehen war. Die Werke der Künstlerin hinterlassen beim Betrachter den Eindruck, daß er etwas versäumt hätte, wenn er ihnen nicht begegnet wäre, und erfüllen damit ein Kriterium für Kunst, das in der permanenten Konkurrenzsituation unserer informationsüberfluteten Zeit immer schwerer zu erreichen ist.

Eine der zentralen Botschaften von Kunst ist - und sie war es schon vor dem Neokonstruktivismus unserer Tage - daß es nicht nur eine Wirklichkeit gibt, sondern viele. Bei der Malerei ist z.B. stets der Gegensatz zwischen der realen Gegenstandswelt und der Eigenwirklichkeit des Bildes gegenwärtig, die sich von der Zweidimensionalität der tragenden Fläche weitgehend unabhängig macht.

Angelika Walter webt solche Wirklichkeiten in vielschichtiger Weise ineinander, wobei die Abbildfunktion nur eine nebengeordnete Bedeutung hat. Sie spannt ihre Malflächen als Forum auf, in der sich Gegensätze treffen, nicht um schroff aufeinanderzuprallen, sondern um sich auf immer wieder überraschende Weisen einander anzuähneln und ineinander überzufließen. Verschmelzungen, Verwandlungen, Übergänge herrschen vor. Die scharfe Trennung zwischen Belebtem und Unbelebtem wird rückgängig gemacht und alles Begegnende wird wieder so physiognomisch wie in frühen Kindertagen. Übermächtige technische Kolosse gewinnen eine Sympathie wie die zu tragischen Helden einer unaufhaltsam entschwindenden Vergangenheit. Ihre einst eisern harte Oberfläche löst sich in blatternarbigen Oxydationsschichten in herbstartigem Farbenrausch auf. Die physiognomischen Interpretationen erwecken beim Betrachter eine Erwartungshaltung, anthropomorphe oder biomorphe in jeder Figuration, in jedem Texturausschnitt zu sehen. Alles wird lebendig und verwandelbar.

Die Oberfläche ist in den Arbeiten stets von besonderer Bedeutung, sinnliche, synästhetische Haut, wo sich Berühren und Berührtwerden treffen, merkwürdige Schnittstelle zwischen dem physikalischen Objekt und seiner sinnlichen Erfahrung. Einerseits in dem Sinne, daß die körnig fühlbare Materialität der Oberfläche die ins Mikroskopische gehende Tiefe der autonomen Bildwelt suggeriert. Andererseits in dem Sinne, daß Angelika Walter in neueren Arbeiten oft Aluminium statt Leinwand für die Trägerfläche wählt. Diese Oberfläche, da übermalt, ist nunmehr nur noch mitbewußt gegenwärtig. Als unsichtbar Vorhandenes unterstreicht sie den technoiden Aspekt der Arbeiten.

Neben der Verbindung von Technischem und Lebendigem findet der Betrachter vielfältig weitere Scheingegensätze in Verbindung und Symbiose gebracht. Die Arbeiten knüpfen an bei Vertrautem und führen den Betrachter in überraschenden Wendungen zu unvertraut Neuem. Sie verbinden das Schwere mit dem Leichten, indem sich das Schwere auflöst, das empfindlich Sensible mit dem grob Bedrohlichen, das in seinem Zögern selbst Sensibilität zeigt, das Schöne mit dem Häßlichen, das im Bild eigene Schönheit gewinnt.

Kunst verwandelt alles, die Malereien von Angelika Walter erheben die Metamorphose zum Thema und beschwören die ganze vertraute Welt als in magischer Verwandlung begriffen.

Prof. Dr. Max J. Kobbert, September 97
Kunstakademie Münster

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